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Auf der Traumastation 9 des NLKH Göttingen werden für alle Patientinnen DBT-Skills für die Inneren Kinder vermittelt. Christine Unckel dazu:
Skills sind Fähigkeiten, Fertigkeiten. Skills haben wir alle, sonst brauchen wir sie. Ohne Skills sind wir nicht lebensfähig. Wenn wir in den kritischen Entwicklungsphasen unserer Kindheit bestimmte Fähigkeiten nicht gelernt haben, dann fehlt uns etwas...
Fast alle Menschen mit gravierenden psychischen Problemen, Symptomen oder Erkrankungen fehlen bestimmte Fähigkeiten. Die Psychoanalyse konzeptionalisiert solche Fähigkeiten als "Ich-Funktionen", die Verhaltenstherapie als Verhaltenspassiva. Besonders gilt das für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen. Schon wenn man sich die Kriterienkataloge des DSM anschaut, wird deutlich: Dieser Patientengruppe mangelt es an vielen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die brauchen mehr Skills, und die brauchen ganz bestimmte, ganz spezifische Skills. Extra dafür wurde ein Fertigkeiten-Training, eben das Skills-Training der DBT entwickelt. Für die "Arbeit mit dem Inneren Kind" wurde das Training in Göttingen etwas verändert, sozusagen "vom Kopf auf die Füße Gestellt". (Christine Unckel, 2004, S. 247)
Die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) der Borderline-Persönlichkleitsstörung ist wie der Name schon sagt, auf PatientInnen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zugeschnitten. Die DBT ist aber darüberhinaus für Menschen geeignet, die Symptome udn Störungen einer anhaltenden und komplexen Traumatisierung aufweisen. Dies sind beipielsweise Menschen mit Dissoziativer Identitätsstörung (DIS) oder schweren dissoziativen Symptomen wie insbesondere Depersonalisation. Menschen mit verschiedenen psychischen Störungen leiden unter Depersonalisation und Derealisation:
- Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Dissoziative Identitätsstörung
- Schizotypische Persönlichkeitsstörung
- Panikstörungen
(Frank W. Putnam, 2003; Uwe Wolfradt, 2003, Peter Fiedler, 2001)
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Die Dialektisch Behaviorale Therapie hat das Ziel, dass die Patientinnen und Patienten lernen, kompetenter mit sich umzugehen, selbstfürsorglicher mit sich umgehen und schwierige Situationen besser zu bewältigen.
Jede Patientin muss am Fertigkeiten-Training teilnehmen, es ist ein unverzichtbarer Anteil der DBT. Dort können die Patientinnen lernen, mit sich selbst kompetenter umzugehen, bessere Selbstfürsorge zu erwerben, sich selbst besser zu "managen", mit sich selbst in Schwierigkeiten etwas Produktives anzufangen und aus inneren Patt-Situationen selbst wieder herauszukommen. (Christine Unckel, 2004, S. 247)
Nicht alle Skills sind für jede Situation geeignet, vielmehr hängt der Einsatz bestimmter Fertigkeiten von der momentanen Inneren Anspannung ab. Das Achtsamkeits- Training ist beispielsweise nur durchführbart, wenn man entspannt ist.
In der DBT werden die Skills je nach dem subjektiv empfundenen Grad der inneren Anspannung angewendet. Dieser Grad der inneren Anspannungwird eingeteilt zwischen 0 Grad und 100 Grad: 0 Grad bedeutet "erleuchtete Ruhe an der Grenze zum Nirwana", 100 Grad bedeutet "völlig unerträgliche Anspannung an der Grenze zum Wahnsinn". Anspannung, "Arousal", das ist , um eine vorsichtige Beschreibung zu geben, ein intensives Gefühls-Chaos, in dem man, wenn es zu stark ist, nicht mehr rational gesteuert reagieren kann. (Christine Unckel, 2004, S. 247)
Das Skills-Training umfasst vier Module:
Achtsamkeit |
Umgang mit Gefühlen |
Umgang mit anderen Menschen |
Stresstoleranz |
0-30 Grad |
bis ca. 50 Grad |
bis ca. 70 Grad |
70 bis 100 Grad |
11-18 Jahre und Erwachsene |
2-5 Jahre |
6-10 Jahre |
0-2 Jahre |
Die einzelnen Mudule nach Alter und Grad der Anspannung
Stresstoleranz
Wenn du derart angespannt bist, dass in dir nur noch Chaos und unerträgliche Anspannung sowie ein Gefühl der Entfremdung herrscht, dann hilft es nur noch, diesen Zustand schnellstens zu beenden. Dafür aber musst du ihn zuvor akzeptieren, was nicht einfach ist, da der akute Zustand einer schweren Depesonalisation beängstigend sein kann. Das wissen wir selbst nur zu gut! Was jetzt zählt und nur noch möglich ist, ist der Einsatz starker Sinnesreize.
In Göttingen ist jede Patientin aufgefordert, ihren Notfallkoffer mit sich zu führen. Dieser wird gefüllt mit den für sie hilfreichsten Skills. Diese können mit der Zeit mehr werden. Auch du kannst dir einen solchen Notfallkoffer packen, vielleicht jeweils für zu Hause und für unterwegs. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten:
Skills für Innere Kinder bis zu 2 Jahren
Christine Unckel nennt gerade für die ganz kleinen Inneren Kinder eine Vielzahl von Skills. Diese können in dem nebenstehenden Buch nachgeschlagen werden. Wir geben hier in Absprache mit Christine Unckel eine Auswahl wieder:
Sich ablenken durch Aktivitäten: Puzzles, einfache Computerspiele, Lesen (sich laut Kinderbücher vorlesen), ein Instrument spielen, Sport, Mandala malen, Lieblingskleidung anziehen, mit einem Haustier spielen, in 7er-Schritten rückwärts zählen, Kreuzworträtsel
Körper-Empfindungen: Gummiband ums Handgelenk, Eis auf die Haut, Wechselduschen, Vitamin-Brausetablette ganz in den Mund nehmen und nicht schlucken, Muskeln anspannen und loslassen, japanisches Heilöl, Meeretich aus dem Glas spur essen, Zitronensaft trinken, sich von jemanden umarmen lassen, Wämeflasche
Sich beruhigen mit Hilfe der fünf Sinne:
Sehen: ins Museum gehen, Fotografieren, Dias schauen, angenehme Fotos von schönen Erlebnissen ansehen, Blumen, Wolken ziehen sehen, Zoo, Malen oder Zeichnen
Hören: Vogelgezwitscher, Musik, Meditationsmusik, Wellenrauschen
Riechen: Lieblingsparfum, Creme, frisch gemähtes Gras, Blumen, Bett mit frisch bezogener Bettwäsche, Regen, Kochen, ätherische Öle, Duftkerzen, Räucherstäbchen
Schmecken: frische kräftige Kräuter, frisch gepresster Saft, Bonbons, Schokolade, Kuchen, Tee
Fühlen: Samt, Seide, Hund, Katze, Pferd, Flauschdecke, barfuß laufen, Wärmeflasche, Baden, Stofftier kuscheln, Igelball, Vogelfeder
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Umgang mit Gefühlen
Für die Inneren Kinder von 2 bis 5 Jahren geht es um den Umgang mit Gefühlen. Es geht also um Liebe, Ärger, Trauer, Angst, Schuld, Ekel, Scham, und Freude (Christine Unckel, 2004, S. 251). Vielleicht hast du in deiner Herkunftsfamilie erlebt, vielleicht immer wieder erlebt, dass dir deine Gefühle abgesprochen wurden, ausgeredet, verfälscht, zerstört. Das ist invalidierend. Gerade deshalb ist es wichtig, dass du heute lernst, deiner Wahrnehmung zu trauen und deine Gefühle als solche, wie sie sind wahrzunehmen. Andererseits kann es sein, dass du eine bedondere Verwundbarkeit für Gefühle besitzt, diese kannst du verringern mit ausreichend Schlaf, ausreichender Nahrung und Getränken, Verzicht auf Drogen usw. (Christine Unckel, 2004, S. 251).Wenn du früher anhaltend traumatisiert wurdest und in einer invalidierender Umgebung aufwachsen musstest, dann ist es besonders wichtig für dich, den Umgang mit Gefühlen zu lernen bzw. das Lernen nachzuholen.
Umgang mit Gefühlen für Kinder von 2 bis 5
Gefühle beschreiben (einem Partner oder schriftlich), emotionales Leiden loslassen (z.B. eine unangenehme Situation sich als Film auf der Leinwand vorzustellen und mit der Fernbedienung vor- und zurückspulen, Ton weglassen usw.); sich klarmachen: "Ich bin nicht mein Gefühl", "Ich habe mein Gefühl"; sich an Zeiten erinnern, in denen es besser ging, etwas wieder gutmachen; sich entschuldigen; radikale Akzeptanz; Schmerz und Trauer zulassen; Schritte in Richtung angenehmer Gefühle unternehmen; um Hilfe bitten und diese auch annehmen können; neue Erfahrungen machen, anstatt sich zurückzuziehen.
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Umgang mit anderen Menschen
Was ist darunter zu verstehen ? Christine Unckel dazu:
Jetzt ist angesagt zu überlegen, was wichtiger ist: die Beziehung, die Selbstachtung oder das Ziel? Muss ich um etwas bitten? Will ich auf bestimmten Wünschen beharren? Hilft mir Humor? Bin ich fair? Ist es der andere? (Christine Unckel, 2004, S. 251)
Vielleicht sagst du im Alltag oft "man", wenn du eigentlich "ich" meinst. Das zu ändern, ist auch ein Lernen in diesem Bereich. Das wirkt auch überzeugender und ehrlicher, als wenn in Allgemeinmplätzen gesprochen wird. Manchmal kann es auch notwendig sein, wenn du deine Wünsche oder Gedanken wie einen "Kratzer auf der Schallpplatte" zu wiederholst.
Zwischenmenmschliche Skills für Menschen von 6 bis 11
Vielleicht hast du früher die Erfahrung gemacht, dass dir immer wieder Wünsche abgeschlagen wurden "Mach die Augen zu, dann siehst du was du willst!". Dir wurde vermittelt, dass du selbstsichtig seist, wenn du eigene Wünsche äußerst. Oder du durftest Bitten anderer Menschen nicht zurückweisen. Vielleicht warst du auch für das Heil einer nahstehenden Person verantwortlich, und "falsches" Verhalten konnte den jenigen oder die jenige in ihrem Leben gefährden. Jedenfalls wurde dir das möglicherweise eingetrichtert. Letzteres kann besonders auch zutreffen, wenn du eine Schizotypische Persönlichkeitsstörung hast. So jedenfalls sieht es Lorna Smith Benjamin. Vielleicht hieß es dann "Du bist der Nagel zu meinem Sarg!" oder "Du bist schuld, wenn ich sterbe!". Auch das ist invalidierend, meinen wir! Jetzt in der Gegenwart gilt es, die Unwahrheiten dieser Erwartungen zu erkennen und nicht mehr nach diesen zu handeln. Das kann in verschiedenen Situationen schwierig sein im Alltag, aber es ist nicht unmöglich!
Christine Unckel zu diesen zwischenmenschlichen Fertigkeiten:
Zwischenmenschliche Beziehungen braucht man, um eigene Ziele durchzusetzen, um Beziehungen zu kn&üpfen und zu pflegen und um in der Beziehung zu anderen seine Selbstachtung zu behalten. Das bedeutet: ich habe ein Recht darauf, nein zu sagen und, ich habe ein Recht darauf, Wünsche exakt zu formulieren. (Christine Unckel, 2004, S. 253)
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Achtsamkeit
Wenn du dich ganz ruhig und entspannt fühlst, kannst du in alltäglichen Situationen Achtsamkeit üben. Das Einüben und Training der inneren Achtsamkeit ist erst geeignet ab 11 Jahren und natürlich auch für Erwachsene. Du kannst Gedanken kommen und gehen lassen- ohne sie zu bewerten lassen. Du kannst deine Gefühle kommen und gehen lassen- ohne sie zu bewerten. Vielleicht entwickelst du ein Interesse an Meditation. Es gibt verschiedene Meditationstechniken, aus denen du wählen und mit denen du experimentieren kannst. Oder aber du macht Imaginationsübungen.
Achtsamkeit für ältere Kinder und Erwachsene
Wenn man entspannt ist, kann man meditieren, Phantasiereisen unternehmen, Rituale oder Gebete verrichten, zur Kapelle pilgern, den Sicheren Ort aufsuchen (Anmerk.: auch Wohlfühlort), Autogenes Training machen. Ohne Bewertung an einer Sache teilnehmen, wirkungsvoll handeln, ohne sich ablenken zu lassen. Es gibt kein gut oder schlecht. Die Frage nach Höherem oder Spirituellem, kommt erst, wenn der Organismus in seinen Grundbedürfnissen befriedigt ist. (Christine Unckel, 2004, S. 253)
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Literatur
Fiedler, Peter: Dissoziative Störungen und Konversion, 2001, Beltz
Linehan, Marsha: Dialektisch behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Trainingsmanual, 1996, CIP-Medien
Putnam, Frank W.: Diagnose und Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung, 2003, Junfermann
Smith Benjamin, Lorna: Die Interpresonelle Diagnose und Behandlung von Persönlichkeitsstörungen, 2001, CIP-Medien
Unckel, Christine: DBT-Skills für Innere Kinder; in: Traumazentrierte Psychotherapie, Ulrich Sachsse, 2004, Schattauer
Wolfrath, Uwe: Depersonalisation, 2003, Kölner Studien Verlag
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