Borderline-Persönlichkeitsstörung: Extreme leben - www.blumenwiesen.org - Monika Kreusel
Borderline-Persönlichkeitsstörung: Extreme leben - www.blumenwiesen.org ~ Monika Kreusel
Borderline-Persönlichkeitsstörung Extreme leben - www.blumenwiesen.org

Agnes* beschreibt ihr Leben mit ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung so:

"Ich neige zu psychischer Labilität, Selbstverstümmelung, Suizidversuchen, manischen Depressionen, Bulimie, Drogenkonsum; das sind so Sachen mit denen man gar nicht rechnen würde, wenn man mich kennen lernt, aber ich bin zu allem fähig, vor allem gegen mich selbst.
Gut möglich, das ich genau in diesem Moment am Rande einer Hochhauskante tänzel' und liebevoll mit dem Tod flirtend in die Tiefe starre, hach ich fühle mich so unendlich schwer heute, mein Herz zerbricht, da fall ich auch schon und schlage auf und hin is das ganze schöne Gesicht und vorbei ein wunderbares Leben mehr."

Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigen extreme Verhaltensweisen, mit denen sie sich nicht selten in große Gefahr begeben. Für andere Menschen ist das meist schwer zu verstehen.

Das Leben der Betroffenen kann, wenn auch nicht bei allen in dieser Form einen Kreislauf darstellen aus Alkoholexzessen, Drogenkonsum, Medikamentenabhängigkeit, Selbstverletzung, Suizidversuchen, Fressanfällen, promiskuitivem Verhalten oder anderen riskanten Verhaltensweisen. Solche können beispielsweise sein das Balancieren auf Brückengeländern oder das Entlanglaufen an Bahngleisen. Ihr Leben hängt so immer wieder "am seidenen Faden", wie die Krankenschwester Dian Tara Zinner in einem Interview gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger erklärt.

Für die Betroffenen gibt es in solchen Phasen nur ein Jetzt, kein Gestern und kein Morgen. Sie fühlen sich jetzt einsam und verzweifelt, flüchten sich in Exzesse, lernen nicht aus bisherigen gefährlichen Situationen und sehen keine ernste Gefahr für die Zukunft. Jedenfalls nicht in solchen Momenten, wo sie womöglich Tabletten und Drogen durcheinander schmeissen, beides noch mit Hochprozentigem begießen. Das kann ungewollte Zwischenstationen im Krankenhaus nach sich ziehen, sei es durch eine Überdosierung von Drogen, durch Hängenbleiben auf einem Trip* oder vielleicht auch durch bei einem Sturz im besoffenen Kopf abgebrochene Zähne. Dennoch geht es beim nächsten Mal weiter so. Trotz der Risiken und des Leidens unter der Störung, können die Betroffenen ihr Leben mit Alkohol, Pillen, Drogen und schnellem Sex mit Fremden aufregend finden.

Lizzie:

Es ist 19 Uhr und Lizzie Compton ist ziemlich sicher, dass außer ihr alle, die in der Zahnarztpraxis arbeiten, nach Hause gegangen sind. Dass Dr. Vitale und Nan, die am Empfang sitzt, die Praxis verlassen haben, hat sie selbst gesehen, und im Büro der Buchhaltung brennt auch kein Licht mehr. Auch in den Räumen von Dr. Vitales neuem jungen Partner, Dr. Bradford, und von Marge, der Röntgenassistentin, ist es dunkel. [...]
Ihre Puls beginnt zu rasen, als sie daran denkt, was sie gleich tun wird. Auch wenn der »Smily-Schrank« wie immer nach Praxisschluss; zugeschlossen ist, weiß sie, dass; der Schlüssel in der Schublade von Vitales Schreibtisch liegt. [...] Gro&ß und schlank, in der weißen Kleidung der Sprechstundenhilfe, schlendert sie lässig wie ein Mannequin in Dr. Vitales Büro. Sie weiß, dass es ganz natürlich wirken muss, sollte jemand sie erwischen - als ob ihre Anwesenheit hier völlig selbstverständlich sei. Sie öffnet die oberste Schublade von Vitales Schreibtisch und lächelt: Der Schlüssel für den »Smily-Schrank« liegt genau da, wo er hingehört, in der hölzernen Schale, die eigentlich für Büroklammern gedacht ist. Sie nimmt ihn an sich, schließt die Schublade und verlässt das Büro.
[...] Da es weiter still bleibt, steckt sie den Schlüssel in die Schranktür und öffnet sie. Für kleinere Frauen wäre es vielleicht schwierig gewesen, an die blickdichten Plastikbehälter im obersten Schrankfach heran zu kommen, aber Lizzie schnappt sich den, den sie haben will, ohne sich auch nur auf Zehenspitzen stellen zu müssen. Ein Schauer läuft ihr den Rücken herunter vor Aufregung über die Gefahr, in die sie sich begibt, genauso wie vor Jahren in der Zeit ihrer Ladendiebstähle. [...]
Der Behälter lässt sich leicht öffnen und Lizzie betrachtet ihre neueste Beute: ein schöner kleiner Haufen oval geformter 5-mg-Vicodins für Notoperationen und Wurzelbehandlungen. Eine richtige Goldmiene! Da die Flasche fast voll war, würde keiner bemerken, wenn ein paar fehlen. Trotz ihrer Nervosität lächelt sie zufrieden und erleichtert.(Jerold J. Kreisman, Hal Straus, 2005, S. 120 ff)

Es kommt, wie es einmal kommen muss, Lizzie wird erwischt von Dr. Bradford, dem jungen Assistenzarzt der Praxis. Statt der erwarteten Strafe bekommt sie von ihm Opiate und einen Whisky dazu. So läuft das Spiel: sie bekommt ihre Pillen, er Sex.

Wenn der Tag schlecht gelaufen ist und es zu Enttäuschungen kam, kann es bei den Betroffenen zu Impulsdurchbrüchen kommen. Dann wird m&öglicherweise bis zur Besinnungslosigkeit gesoffen oder sich im betrunkenen Kopf schnell ein Sexualpartner aufgerissen. Irgendjemand findet sich immer, spätestens am nächsten Morgen kommt möglicherweise die Ernüchterung, wer sich da im eigenen Bett den Rausch ausschläft.

Die selbst zerstörerische Impulsivität der Betroffenen ist das, was sich auch während einer Dialektisch Behavioralen Therapie am hartnäckigsten hält. Das selbstverletztende Verhalten dagegen wird in der DBT als erstes aufgegeben, so die Ärztin Reka Markus in einem Angehörigenseminar der LVR-Klinik Köln.

Warum das alles? Was treibt Menschen mit einer Borderline- oder auch einer anderen Persönlichkeitsstörung in solches Suchtverhalten? Die Flucht aus der inneren Leere ist etwas, was junge Menschen mit einer Borderline-Störung immer wieder zum Alkohol oder zu Drogen greifen lässt. Ein Empfinden von Vitalität, Mächtigkeit und Glück stellt sich ein, wenn auch nur für die kurze Zeit der Drogenwirkung (Günter Niklewski u. Rose Riecke-Niklewski, 2003, S. 70). Hört diese Wirkung auf, droht der Absturz in unendliche Tiefen und es muss wieder nach gelegt, etwas eingeworfen oder getrunken werden. Da sich die Symptome der Betroffenen häufig abwechseln, können sich auch die Suchtmittel abwechseln oder vorübergehend andere selbstschädigende Verhaltensweisen an deren Stelle treten.

Selbstverletzendes Verhalten bei Borderline-Betroffenen und auch die selbstschädigende Destruktivität dienen sehr oft dem kurzfristigen Beenden aversiver, also für sie bislang unerträglicher innerer Hochspannung. Langfristig ist dies natürlich sehr schädlich. Meist kann die innere Hochspannung keinem bestimmtem Gefühl zugeordnet werden. Was zählt ist: Das muss aufhören. Sofort! Das Leben als Borderline-Persönlichkeit ist eine nicht enden wollende Achterbahn. Als Hauptmerkmal der Borderline-Pers&önlichkeitsstörung wird in der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) in der emotionalen Instabilität gesehen. Diese zeigt sich ganz besonders in der beschriebenen inneren Hochspannung, die kurzfristig mit Selbstverletzungen, Suizidversuchen, selbstsch&ädigender Impulsivität oder intensiver Wut äußern kann.

Eine Betroffene erzählt:

"Meine Medikamente nehme ich mehr oder weniger regelmäßig - obwohl, die letzten Wochen seit der Therapie habe ich sie nicht mehr genommen. Die aus der Klinik wollten mich doch nur voll pumpen. Jetzt ist meine Psyche dran. Wenn's mir dreckig geht, hilft mir dann immer noch ein Caipi - das Rezept habe ich noch aus Spanien aus meiner Au-pair-Mädchen-Zeit. Manchmal tut's auch der Rum allein. Ja, ja, so'n typisches Symptom einer Borderlinerin, braucht mir keiner zu erzählen. ...Ich kann ja auch ohne, wenn ich will." (Günter Niklewski u. Rose Riecke-Niklewski, 2003, S. 14)

Natürlich führen bei weitem nicht alle Borderline-Betroffenen ein derart wildes Leben in Extremen wie auf dieser Seite beschrieben, auch nicht alle sind suchtkrank. Und nicht alle suchtkranken Menschen haben eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, aber zumindest oft eine andere Persönlichkeitsstörung. Auch setzt die Diagnose Borderline -Persönlichkeitsstörung zwangsläufig selbstverletzendes Verhalten (SVV) voraus. Ebenso trifft auch der Umkehrschluss nicht zu. Selbstverletzendes Verhalten kann auch im Kontext anderer psychischer Störungen auftreten.

Verfolgt man Nachrichten über diverse Promis, erfährt man stets die aktuellsten Entgleisungen derer, die Borderline-Betroffene sind oder sein d&ürften. Wer ist dieses Mal wieder nach wilden Drogenexzessen in eine Notaufnahme eingeliefert worden? Wer ritzt sich, wer ist beim Konsum harter Drogen erwischt worden? Freilich werden am ehesten diese überweigend noch jungen Frauen bloßgestellt, die in sicherer Entfernung leben - weit weg. Möglichst in den USA, zumindest aber nicht direkt vor Ort. Egal, ob berühmt und betrunken auf der Bühne oder nicht, der hohe Leidensdruck, der dem hier beschriebenen Verhalten zu Grunde liegt, ist der gleiche. Die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) bietet vor allem für Borderline-Betroffene geeignete und unschädliche Alternativen zu Selbstverletzungen, Suizidversuchen, Hochrisikoverhalten, Essanfällen und Alkohol- oder Drogenexzessen. Der neue und bewusste Umgang mit den eigenen Gefühlen, mit Stress und zwischenmenschlichen Fähigkeiten vermittelt langfristig einen Zuwachs an Autonomie, an Sicherheit und Selbstwert. Ein langfristiges Ziel der DBT ist die Verbesserung der Lebensqualität.


Internetseiten zum Thema:

Dachverband Dialektisch Behaviorale Therapie e.V.

Borderline Netzwerk e.V.

GRENZPOSTen e.V. - Borderline-Selbsthilfezeitschrift

Tagesklinik Psychotherapie (TK 17) der LVR-Klinik Köln

Borderline-Plattform

Artikel zum Thema im Internet:

FOCUS: Borderline - Grenzgänger zwischen Extremen - von Helwi Braunmiller

Tagesspiegel: Seele am Abgrund - Ein Sprung in der Schüssel schadet nicht auf dem Weg zum Star - im Gegenteil - von Bas Kast

Süddeutsche: Promiskuität, Promille, Prominenz - Von Tobias Moorstedt - 18.10.2007

*Ich habe den Namen von Agnes zu ihrem Schutz geändert.
*Das Hängenbleiben auf einem Trip kann entstehen, wenn die Wirkung von LSD nicht aufhört. Wer LSD konsumiert, begibt sich auf einen sogenannten Trip, der als besonders sch&ön oder als Horror empfunden werden kann. Medizinisch gesehen ist das Hängenbleiben auf einem Trip eine drogeninduzierte Psychose.

Literatur:

Kreisman, Jerold J.; Straus, Hal: Ich hasse dich - verlass mich nicht, Die schwarzwei&ße Welt der Borderline-Persönlichkeit, Kösel, 17. Auflage, 2006
Kreisman, Jerold J.; Straus, Hal: Zerrissen zwischen Extremen, Leben mit einer Borderline-Störung, Hilfen f&ür Betroffene und Angehörige, Kösel, 2005
Niklewski, Günter; Riecke-Niklewski, Rose: Leben mit einer Borderline-Störung, Ein Ratgeber für Betroffene und ihre Partner, TRIAS, 2003

siehe auch: Susanne Hengesbach (Kölner Stadt-Anzeiger) im Gespräch mit der Krankenschwester Dian Tara Zinner: Leben am seidenen Faden













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Zuletzt aktualisiert am 26.02.2020


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